Donnerstag, 22. Januar 2009

Wachsende Ungerechtigkeit in Deutschland: obere 10% besitzen über 61 Prozent des Vermögens, untere 10% weniger als nichts

Das DIW studierte im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung die Verteilung des Vermögens in Deutschland und stellte ein zunehmendes Auseinanderdriften der Einkommen und Vermögen fest. Nun ist es nicht die erste Studie, welche die Binsenweisheit, daß die Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher werden, wissenschaftlich belegt. Auch die Friedrich-Ebert-Stiftung und der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung belegen dies.

Doch wie sieht es konkret in Zahlen ausgedrückt aus?
Seit 2002 sind die Nettovermögen in Ostdeutschland um 10 Prozent gesunken – unter Einbeziehung der Geldentwertung durch Inflation sogar um satte 17 Prozent! Insgesamt beträgt das private Vermögen in Deutschland 6 Billionen Euro, was durchschnittlich 88.000 Euro pro Bürger bedeuten würde. Wäre das Vermögen in Deutschland unter den Bürgern gleich verteilt, dann würde jeder Einzelne fast neunzigtausend Euro besitzen. Das ist natürlich keine Zahl, die etwas mit der Realität zu tun hat, denn von den erwähnten 6 Billionen Euro des Gesamtvermögens in Deutschland gehören den oberen 10 Prozent der Bevölkerung gigantische 4 Billionen Euro. Das oberste eine (!) Prozent besitzt ein Viertel des deutschen Vermögens! Nimmt man die Reichsten aus der Rechnung heraus, ergibt sich für den Großteil der Bevölkerung ein Durchschnittsvermögen von nur noch 15.000 € (Median des Nettovermögens) - die ursprünglichen 90.000 € sacken regelrecht in sich zusammen. Die oberen 50 % der Bevölkerung wiederum besitzen im Durchschnitt 222.000 Euro.
Wenn man den Blick von den Reichsten und dem Mittelstand nun auf die Ärmsten richtet, ergibt sich ein erschreckendes Bild: Mehr als ein Viertel aller Erwachsenen hat gar kein Vermögen und ist teils sogar verschuldet. Die untersten 10% der Bevölkerung sind im Durchschnitt mit 15.000 Euro verschuldet!

Vermögensverteilung 2002 2007
Die ärmsten 10% -1,2 -1,6
10-20% 0 0
20-30% 0 0
30-40% 0,4 0,4
40-50% 1,3 1,2
50-60% 2,8 2,8
60-70% 7 6
70-80% 11,8 11,1
80-90% 19 19
Die reichsten 10% 57,9 61,1
(Quelle: DIW 2009)

Soziale Katastrophe als Folge billigend in Kauf genommen
Welche langfristigen Trends lassen sich daraus ableiten? Grassierende Kinderarmut, Armut im Alter, eine zerstörte Mittelschicht, eine übergroße Unterschicht, wachsende Arbeitslosigkeit wegen fehlender Nachfrage, eine 80:20-Gesellschaft – ist es das, was die Mehrheit möchte? Auf diesem Kurs befindet sich Deutschland seit Jahren. Will die Mehrheit freiwillig verarmen und Wohlstand nur noch im Fernsehen sehen? Das darf bezweifelt werden.

2/3 der Wirtschaft (Inland) einschläfern, um 1/3 (Export) boomen zu lassen?
Es ist wirtschaftlich unsinnig, daß sich viel Geld bei den Reichsten konzentriert, denn sie erhalten dadurch mehr Geld, als sie ausgeben können, entziehen damit dem Wirtschaftskreislauf Nachfrage und pumpen mit dem Reichtum eine Spekulationsblase nach der anderen auf. Sie haben erheblich dazu beigetragen, daß die derzeitige Finanzblase entstanden ist, während alle anderen den Gürtel enger schnallen mußten. Ohne Nachfrage werden weniger Arbeitsplätze benötigt, so daß die Arbeitslosigkeit jahrelang anstieg und sich auch jetzt nur durch statistische Tricks verdecken läßt, da all die Menschen, die sogar aus Hartz-4 herausgefallen sind, Ein-Euro-Jobs und Menschen in Umschulungen nicht mehr mitgezählt werden. Die unendlich oft abgespulte Gehirnwäsche, daß wir in Konkurrenz mit China stehen, hat zu einem Lohnverfall geführt, der ein massives Ungleichgewicht zwischen einem ausufernden Angebot und einer verkrüppelten Nachfrage zur Folge hatte.

Diese verfehlte Wirtschafts-, Finanz-, Steuer- und Sozialpolitik ist die direkte Folge einer neoliberalen Politik, die von den Reichsten durch die FDP, die CDU / CSU – und sehr viel später auch durch SPD und Grüne (Senkung des Spitzensteuersatzes für Reiche von 51% auf 42%, Senkung der Arbeitslosenhilfe auf Hartz 4, 1-€-Jobs, Leiharbeit) durchgesetzt wurde. Gleichzeitig schrieben die gleichgeschalteten Medien das Sozialstaatsmodell, das fünf Jahrzehnte lang erfolgreich war, nieder, um den Mangel an Reformen zu predigen und dann Reformen herbeizuschreiben, die das soziale Gefüge "nachhaltig" zerstörten. Der neoliberale Gedankenvirus, ein parasitärer Organismus, der seinen Wirtskörper, den Mittelstand, die Unterschicht und auch die ihn vertretenen Parteien wie ein Krebsgeschwür zerfrißt und letztlich tötet, hat in ersten Ansätzen auch schon die Linkspartei im Stadtstaat Berlin erreicht, die dort Privatisierungen von Sozialwohnungen unterstützte, um Schulden bei Banken zu bedienen, die der Landowski-CDU-Bankenfilz unter der Diepgen-Regierung verursacht hatte. Landowskis kriminelle Energie ist für etliche Milliarden Euros der Berliner Schulden verantwortlich und hat die Stadt derart an den Rand des Ruins manövriert, daß die nachfolgende Regierung gar den Bund um Nothilfe ersuchte.

Vermögenssteuer abgeschafft und Erbschaftssteuer gesenkt - weitere Umverteilung von unten nach oben
Warum wurde die Vermögenssteuer nicht wieder eingeführt, die bis vor einem Jahrzehnt in der Bundesrepublik galt und dann aufgehoben wurde? Im Wahlkampf 1998 hatte Schröder die Wiedereinführung zugesichert und später dann "vergessen". Wieso begünstigt die letzte Erbschaftssteuerreform schon wieder die Reichsten? Die DIW-Wissenschaftler Joachim Frick und Markus Grabka äußern sich zur Erbschaftssteuerreform wie folgt: "Die Erbschaftsteuerreform wird zu einer weiteren Vermögenskonzentration führen. Es sollte aber das Prinzip der Chancengleichheit gestärkt werden, denn nicht nur die Bildungschancen sondern auch die Höhe der erwarteten Erbschaften werden maßgeblich von der sozialen Herkunft bestimmt. Ein neuerliches Überdenken dieser Reform wäre deshalb geboten."

Wirtschaftspolitik aus dem 19. Jahrhundert - untergejubelt als "modern", "alternativlos"
Wieso gibt es eine Steuersenkung nach der anderen (z.B. pauschale Abgeltungssteuer für Kapitaleigner, Senkung der Spitzensteuersätze im letzten Jahrzehnt) für die, die es am wenigsten benötigen, während die Verbrauchssteuern und Abgaben, die Kosten für Gesundheit und Renten dem Mittelstand und den unteren Bevölkerungsschichten die Luft zum atmen immer weiter abschnüren und zur spezifisch deutschen Schwäche der Binnennachfrage beitragen? Wieso wurde jahrelang Lohnzurückhaltung gepredigt, als schon längst absehbar war, daß der Exportanstieg die einbrechende Inlandsnachfrage nicht auffangen kann? Inwiefern konkurriert ein deutscher Friseur mit einem chinesischen Friseur - und warum glaubte eine Regierung nach der anderen diesen Schwachsinn?
Diese Politik ist nicht modern, sondern eine Neuauflage des alten Merkantilismus.
Wieso wird hingenommen, daß sich in der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt eine Million Menschen, darunter viele Kinder, vom Second-Hand-Essen der Armentafeln ernähren müssen? Nur ein winziger Bruchteil der oben genannten 4 Billionen Euro könnte dieses Problem komplett beseitigen.
Wieso wird eine grassierende Kinderarmut und Unterversorgung hingenommen, während sich die Reichsten aus der Finanzierung des Staates, indem sie ihren Reichtum angehäuft haben, ausklinken, obendrein ihre Steuern unterschlagen und ihr Kapital in Steueroasen parken? Wieso erhalten diese asozialen Reichen nur Bewährungsstrafen, wenn sie dabei ertappt werden?

Staatsschulden - Staat leiht sich von denen, die Steuern sparen
Ein weiterer Aspekt ist die Unterfinanzierung des Staates. Durch all die angesprochenen Steuersenkungen und die geschaffenen Steuerschlupflöcher fehlt dem Staat nun das Geld, das er zuvor hatte. Nun muß sich der Staat das Geld von denen leihen, denen er zuvor die Steuern gesenkt hat - und zahlt zusätzlich Zinsen. Die Schulden des einen sind das Guthaben des anderen - das Hauptproblem ist also nicht, wie oft beschrieben, daß wir mit unseren Schulden die nachfolgenden Generationen ungerechterweise belasten, sondern eine ungerechte Verteilung innerhalb einer Generation, in der wenige die Zinsen kassieren und viele die gesenkten Steuern der Reichen mit einer höheren Mehrwertsteuer etc. ausgleichen müssen. Darin läßt sich keine Logik finden, sondern nur knallharte Interessenpolitik.

Teufelskreis: Geld bedeutet Macht - Macht bedeutet mehr Geld
Geldkonzentration bedeutet auch Machtkonzentration, denn über Geld kann man sich wohlgewogene Politik kaufen, sei es über Lobbyismus, über Parteispenden, über Schwarzgeldkoffer, über Nebeneinkünfte von Abgeordneten, über Aufsichtsratsposten, über Medien-Stiftungen zur Gehirnwäsche der Bevölkerung oder über gekaufte Wissenschaftler zur Gehirnwäsche der Politik. Die Möglichkeiten sind unerschöpflich.

Tabu in Deutschland: Steuergerechtigkeit gilt als Neid
Warum gibt es in Deutschland ein Denkverbot, Reiche wieder stärker zu besteuern? Es gibt genug zu tun in Deutschland: die Beseitigung von Armut und Obdachlosigkeit, der Ausbau von Umweltschutz und regenerativen Energien, das Stoppen des Bildungsverfalls, Forschung, preiswertere Gesundheit für alle – die Liste ließe sich weiterführen. Das Geld ist vorhanden - wann fangen wir endlich an, es sinnvoll zu nutzen?

Artikel-Links zur Studie:
Links zum Sozialgefälle aus den heutigen Nachrichten:

1 Kommentar:

  1. Abnahme des Lohnniveaus ist in Hof /Saale auch ein Thema. Die Stadtväter werben mit dem "ineressanten Lohnniveau" in ihrer Stadt. Was das für die Arbeitnehmer heißt läßt sich mittlerweile prima nachvollziehen.

    Da werden qualifizierte Mitarbeiter beispielsweise im kaufmännischen Bereich mit maximal 1400,- Euro brutto für einen 40 Stunden-Job nach Hause geschickt.

    Teilweise sind es auch Akademiker als Quereinsteiger im IT-Bereich, die sich mit nicht viel mehr zufrieden geben müssen.

    Der Bankensektor ist ebenfalls betroffen, da bietet man den Arbeitnehmern mittlerweile 40 Stunden-Jobs für 1350,- brutto an.

    Im Callcenter bekommt eine Bürokauffrau in Hof 7,- Euro in der Stunde im Schichtdienst mit WE-Arbeit. Wie gesagt brutto!!!

    Es ist kaum zu glauben. Die Arbeitgeber sägen sich den Ast ab, auf dem sie sitzen!

    A

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