Freitag, 10. Juli 2009

Bester Bundestag, den man sich für Geld kaufen kann: Rekord bei Nebeneinkünften der Abgeordneten - 6,7 Millionen € (2008)

Das Ausmaß der Nebeneinkünfte "unserer" Parlamentarier ist schlicht erschreckend.

Jahr 2007: mindestens 5,8 Millionen Euro
Jahr 2008: mindestens 6,66 Millionen Euro
Januar, Februar, März, April 2009: bereits mindestens 5,7 Millionen Euro in nur 4 Monaten - ein neuer Rekord!

Das Gehalt eines Abgeordneten liegt ohnehin schon weit über dem Durchschnittsgehalt der meisten Bürger, die sie repräsentieren sollen. Doch offenbar genügt dies nicht. Stattdessen wird uns erklärt, daß die leeren Bänke bei Live-Übertragungen aus dem Bundestag aus der schwierigen Arbeit in den Ausschüssen etc. herrührt. Wenn dies der Fall ist, wie finden diese Abgeordneten dann die Zeit, all diesen Nebentätigkeiten nachzugehen? Und wie viele dieser Nebeneinkünfte sind lediglich kaschierte Bestechungsgelder? Warum erfahren wir nur die Mindesthöhe der Nebenverdienste und nicht die volle Geldsumme? Weshalb verbieten wir nicht Lobbyismus und Nebenverdienste bei Abgeordneten endlich ersatzlos - in Landtagen, im Bundestag und im EU-Parlament? Es sind schließlich diejenigen, die unsere Gesetze schreiben (Ausnahme: Investmentbanken und Finanzanwälte, die z.B. das BadBank-Gesetz für das Finanzministerium geschrieben haben) und beschließen (Ausnahme: EU-Parlament - kann keine Gesetze schreiben oder beschließen, hat nur beratende Funktion)!

Abgeordnete mit den meisten angegebenen Vertragspartnern:
1.Riester, Walter (SPD) (61)
2.Westerwelle, Dr. Guido (FDP) (38)
3.Scheer, Dr. Hermann (SPD) (31)
4.Thierse, Dr. h. c. Wolfgang (SPD) (24)
5.Riesenhuber, Dr. Heinz (CDU/CSU) (24)
6.Merz, Friedrich (CDU/CSU) (21)
7.Lammert, Dr. Norbert (CDU/CSU) (18)
8.Schily, Dr. Konrad (FDP) (18)
9.Schirmbeck, Georg (CDU/CSU) (17)
10.Pfeiffer, Dr. Joachim (CDU/CSU) (17)

Abgeordnete mit den höchsten angegebenen Nebeneinkünften (2008):
1.Riester, Walter (SPD) – mindestens 144.500 €
2.Brandner, Klaus (SPD) – mindestens 129.500 €
3.Hübner, Klaas (SPD) – mindestens 120.000 €
4.Fuchs, Dr. Michael (CDU/CSU) – mindestens 109.500 €
5.Müller, Dr. Gerd (CDU/CSU) – mindestens 96.000 €
6.Glos, Michael (CDU/CSU) – mindestens 91.000 €
7.Kramme, Anette (SPD) – mindestens 89.000 €
8.Heinen, Ursula (CDU/CSU) – mindestens 84.000 €
9.Hintze, Peter (CDU/CSU) – mindestens 84.000 €
10.Pofalla, Ronald (CDU/CSU) – mindestens 84.000 €

Die Angaben stellen Mindestwerte dar, da die Nebeneinkünfte nur in 3 Stufen angegeben werden müssen, wobei es für die höchste Stufe nur einen Mindestwert gibt und nach oben offen ist. Die Berechnungen basieren auf den Mindestwerten. Die Werte liegen in der Praxis mit großer Wahrscheinlichkeit sehr viel höher. In der folgenden Tabelle können Sie einsehen, wie viele Abgeordnete einer Fraktion Nebeneinkünfte haben und wie hoch diese mindestens sind:

Links hierzu:

Günter Grass: Mündig sein, Mund aufmachen – wir sind das Volk!

Rede (leicht gekürzt), gehalten an der Paul-Natorp-Oberschule in Berlin vor Abiturienten - lesenswert für ALLE Bürger dieses Landes mit der Aufforderung, endlich aktiv zu werden für den Schutz der Demokratie:

Meine kurze und, so hoffe ich, bündige Rede steht unter der Überschrift Mündig sein. Es bedeutet: verantwortlich werden und also den Mund aufmachen. Als ich im Alter der hier versammelten Schülerinnen und Schüler war, herrschte Krieg. Und aufgewachsen unter der Zucht und ideologischen Prägung des Nationalsozialismus, standen wir unter Befehlsgewalt und lernten einen blinden Gehorsam, der für viele meiner Generation in den Tod führte.
Erst in der Nachkriegszeit, mittlerweile achtzehn, neunzehn Jahre alt, lernte ich mühsam zu unterscheiden, mich selbst zu befragen und laut vernehmlich zu widersprechen. Ich wurde im Nachholverfahren mündig und fand während einer Zeit politischer Restauration, also in den fünfziger und sechziger Jahren der Adenauer-Ära Gelegenheit genug, mein »Ja« und mein »Nein« zu erproben, widerständig zu sein.
Sie hingegen wachsen in einer Zeit auf, in der die Floskel vom »mündigen Bürger« zum Allgemeinplatz geworden ist. In jeder Sonntagsrede wird er umworben. Da ich aber das Vergnügen habe, an einem Wochentag zu Ihnen zu sprechen, soll geprüft werden, ob es ihn im ausreichenden Maße gibt, den Bürger, der bereit ist, den Mund aufzumachen und zu widersprechen, wenn die genauso oft berufene »demokratische Grundordnung« aus den Fugen gerät.
Politiker beglückwünschen sich gegenseitig, als hätten sie vor zwanzig Jahren das gesamtdeutsche Machwerk, die Mauer, zu Fall gebracht. Zugleich feiern wir sechzig Jahre Grundgesetz. Und gleichfalls tun Schönredner so, als habe dieses Fundament unserer Demokratie nicht im Verlauf der Jahre Schaden genommen. So wurde ein Kronjuwel, der Asylartikel, verunstaltet. Seitdem ist das Abschieben von Flüchtlingen, das heißt von Menschen, die bei uns Zuflucht suchen, alltäglich geworden. Familien werden auseinandergerissen. Als neudeutsches Wort macht uns die Prägung »Abschiebehaft« Schande.
Ein anderes Beispiel: Als vor annähernd zwanzig Jahren die deutsche Einheit aufs Vertragspapier kam, wurde der Schlußartikel des Grundgesetzes, der wohlweislich vorgeschrieben hatte, im Fall einer deutschen Einheit dem deutschen Volk eine neue Verfassung vorzulegen, mißachtet, die Einheit wurde ruckzuck über den Anschlußartikel 23 vollzogen, der Westen nahm den Osten in Besitz, mit Folgen bis heute: die Einheit steht nur auf dem Papier.
Da ich sicher bin, daß in der Paul-Natorp-Oberschule insbesondere in diesem Jahr die Überprüfung unserer Verfassung mit der Verfassungswirklichkeit zum Unterricht gehörte, ist Ihnen allen sicher in Erinnerung, daß, laut Verfassung, vor dem Recht jeder Bundesbürger gleich ist. Ein demokratischer Rechtsanspruch, der jahrhundertelang umstritten war, erkämpft werden mußte. Doch hält diese Garantie, was sie verspricht? Dank unserer fleißigen Medienberichterstattung sahen und hörten wir, wie der Beherrscher der Post und Telekommunikation, ein Herr Zumwinkel, abgeführt wurde, weil er Steuern in Millionenhöhe hinterzogen und in dem Schlupfloch Liechtenstein versteckt hatte.
Ungefähr gleichzeitig wurde eine Kassiererin fristlos entlassen, die an der Kasse einer Selbstbedienungsfiliale einen Euro und dreißig Cent unterschlagen hatte. Die Gerichte wiesen ihre Klage in zwei Instanzen ab. Herrn Zumwinkels Freiheitsstrafe ist zur Bewährung ausgesetzt worden, zudem halfen ihm Millionenbeträge aus der Pensionskasse aus seinem erbarmungswürdigen Elend. Mittlerweile lebt er am Gardasee oder in London, in der Nähe von anderen millionenschweren Steuerhinterziehern, die ihre Bewährungsstrafen absitzen und sich an den Früchten ihres asozialen Verhaltens erfreuen.
Ich bezweifle, daß der namenlosen Kassiererin und Herrn Zumwinkel gleiches Recht widerfuhr. Allein schon das ökonomische Ungleichgewicht unserer Gesellschaft steht dem Versprechen der Verfassung im Wege.
Demokratie ist kein fester Besitz. Wir bemerken es gegenwärtig, also in einer Zeit, in der die Ideologie der grenzenlosen Gewinnmaximierung ihren Kollaps erlebt und weltweit Millionen Arbeitsplätze hinwegspült. Von arbeitenden Menschen erwirtschaftetes Kapital verflüchtigt sich zu Nichts. Diejenigen, die vorgestern noch den Staat entmachtet sehen wollten, schreien nun nach staatlicher Hilfe, und dennoch werden weiterhin von Habsucht getriebene Manager mit horrenden Abfindungen gespeist, damit sie ihr Elend auf hohem Niveau auskosten können.
Das alles ist schlimm, aber noch viel schlimmer und folgenreicher ist das Schweigen im Lande. Kurz kocht Empörung hoch und legt sich wieder. Weit lebensnotwendiger für den Erhalt der Demokratie sind und bleiben – um wiederum auf mein Thema zu kommen – mündige Bürger, die jedem Lobbyisten, der den Bundestag belagert, das verfassungswidrige Handwerk legen: mündige Bürger, die endlich begreifen, daß sie laut Verfassung der Souverän des Staates sind, vor allem junge Menschen, die, weil es um ihre Zukunft geht, den Mund aufmachen und jenen Ruf wiederbeleben, der vor zwanzig Jahren mit der fordernden Behauptung »Wir sind das Volk!« ein Zwangssystem hinwegfegte.
Ich spreche zu Ihnen aus Erfahrung. Ich habe mich als junger Mensch immer wieder gefragt und tue es im Grunde bis heute: Wie kam es zum Zerfall der Weimarer Republik? Die Weimarer Republik wurde gleichermaßen von Nazis und Deutschnationalen wie auch von den Kommunisten als bloßes System abgelehnt und bekämpft. Beide christliche Kirchen haben sich nahezu widerstandslos angepaßt. Die Großindustrie war Hitler zu Diensten. Von den demokratischen Parteien waren zum Schluß nur noch die Sozialdemokratische Partei und die Zentrumspartei widerständig. Als Hitlers Ermächtigungsgesetz zur Abstimmung stand, fiel auch die Zentrumspartei um, die Gegenstimmen der Sozialdemokraten reichten nicht aus. Doch gravierender als das allumfassende Versagen ist wohl die Tatsache, daß es in der Weimarer Republik nicht genügend Bürger gegeben hat, die sich schützend vor dieses fragile, von Anfang an gefährdete Gebilde gestellt haben. Diese Einsicht hat mich dazu gebracht, als Schriftsteller immer wieder mein Schreibpult zu verlassen und als Bürger den Mund aufzumachen, das heißt, mündig im wahrsten Sinne des Wortes zu sein.
Nichts Besseres kann ich Ihnen empfehlen. Mit Gegenwind ist zu rechnen. Doch darauf wird es ankommen: auch bei Gegenwind den Mund aufzumachen, gegen den Wind laut »Ja« oder »Nein« zu sagen und dieses »Ja« oder »Nein« zu begründen.

Link zur vollständigen Rede:
Mündig sein!

Prof. Karl Albrecht Schachtschneider über das Karlsruher Urteil zum EU-Lissabon-Vertrag


Prof. Schachtschneider: Sanfte Despotie auf dem Weg zur Tyrannis
  • Ist durch das Urteil in Karlsruhe die Gefahr einer Exekutiv-Diktatur der EU über die Mitgliedsländer gebannt, oder wurde sie nur hinausgezögert? 84 Prozent aller neuen Gesetze in Deutschland werden schon jetzt von der EU-Exekutive beschlossen. Bei Bundestags- und Landtagswahlen nimmt der Bürger lediglich Einfluß auf die verbliebenen 16 Prozent.
  • Sind trotz des Urteils sämtliche sozialen Errungenschaften der deutschen Arbeiterbewegung weiterhin gefährdet, indem durch das "Herkunftslandsprinzip" auf dem Territorium Deutschlands sämtliche 27 Rechtsordnungen aller EU-Staaten gelten (auf eine davon hatten wir bisher wenigstens einen begrenzten Einfluß), indem Tariflöhne und betriebliche Mitbestimmung durch europaweite Ausschreibungen unterwandert werden? Wo ist die Stimme der Gewerkschaften bei diesem Skandal, wenn über 100 Jahre Arbeitskampf weggewischt werden? In der deutschen Politik wäre diese Demontage nie durchsetzbar gewesen!
  • Wird durch die erzwungene Kapitalverkehrsfreiheit des Lissabonvertrags gegenüber allen anderen EU-Staaten und allen Drittstaaten die Finanzkrise drastisch verschlimmert? Sollten dem Finanzkapital in dieser Situation nicht stattdessen Beschränkungen auferlegt werden, um zukünftige Spekulationsblasen zu verhindern?
  • Wurde durch das Karlsruher Urteil durch die vorgeschriebene Beteiligung des Bundestags bei einigen EU-Fragen das Demokratiedefizit gelöst? Oder ist dies ein Scheinsieg, da der Bundestag auch in Zukunft alles, was aus Brüssel kommt, blind abnickt, ohne es überhaupt vorher zu lesen?
Diese und weitere Fragen werden im folgenden Vortrag erörtert: