Sonntag, 27. Juli 2008

Die Unerträglichkeit des neoliberalen Polittalks

Wilfried Schmickler - "Minderleister" 06.06.2008

Warum gibt das Fernsehen menschenverachtenden Politikern immer und immer wieder ein öffentliches Forum zur Realitätsverdrehung und schlimmster Hetze gegen die zwangsläufigen Verlierer einer marktradikalen Politik? Wie viele vermeintliche Vorschläge zur Armutsbekämpfung sind in Wirklichkeit Armenbekämpfung? Wie oft noch wird das Streben nach ökonomischer Fairness und sozialem Ausgleich als "Neiddebatte" diskreditiert? Es hat nichts mit Neid zu tun, denn das Gerechtigkeitsgefühl ist in Menschen angelegt - selbst bei Schimpansen konnten Verhaltenswissenschaftler ein Gefühl für Gerechtigkeit entdecken. Die Zusammensetzung der zu Polittalkshows geladenen Gäste entspricht schon lange nicht mehr unserer Gesellschaft. Warum sollten derartige Sendungen dann noch mit Einschaltquoten belohnt werden? Verschwenden Sie nicht Ihre wertvolle Lebenszeit mit dem Ansehen dieser unerträglichen Sendungen! Bezahlen Sie nicht länger Ihre eigene Gehirnwäsche am Zeitungskiosk! Es gibt Alternativen, die tatsächlich geistig bereichern.
Immerhin zeigt die Häufigkeit marktradikaler Politfloskeln in den Medien eines: wer eine falsche Logik gegen das eigene Realitätsempfinden der Zuschauer durchsetzen will, muss es offensichtlich oft tun, denn eine Politik, deren Ergebnisse für sich selbst sprechen würde, müsste nicht derart aggressiv beworben werden. Haben Sie sich einmal gefragt, warum die wirtschaftshörige PR-"Initiative neue soziale Marktwirtschaft" ein so großes Finanzbudget hat? Man braucht offensichtlich Millionen, um die Wahrnehmung von Wirklichkeit bei der Bevölkerung zu manipulieren. Und wenn man sich Umfragen zu bestimmten Themen wie Mindestlohn, Bahnprivatisierung, Afghanistaneinsatz oder zu sozialem Ausgleich anschaut, dann ist diese Manipulation noch nicht einmal wirklich erfolgreich. In solchen Fällen zündet dann die zweite Stufe des Widersinns: das Ziehen falscher Schlussfolgerungen aus korrekten Umfrageergebnissen. Ein aktuelles Beispiel hierzu ist das vermeintliche Umfrageergebnis, dass die Deutschen unzufrieden mit der sozialen Marktwirtschaft wären. Ist es nicht eher so, dass die Deutschen gern soziale Marktwirtschaft hätten, der soziale Aspekt aber überwiegend unter die Räder gekommen ist? Was wir angesichts immer extremerer Einkommensunterschiede haben, kann man nur noch mit viel Zynismus als "soziale" Marktwirtschaft bezeichnen. Nein, es stimmt einfach nicht, dass jeder seines Glückes Schmied ist und man deswegen nur Chancengleichheit und gute Bildung benötigt. Beides sind leere Worte, denn die Chancengleichheit hat - wie auch die staatlichen Bildungsbudgets - abgenommen. Es sind die argumentativen Rückfallpositionen einer Politik, die von den Ergebnissen ihrer marktfundamentalistischen Barbarei ablenken will.

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